Texte



Ferne Landschaften - ganz nah.


Zwei Elemente beschreiben das Malen von Charlotte Herzog: Beharrlichkeit und Anmut. Seit Jahrzehnten malt Herzog Landschaften. Ohne Starre, fern jedem Auf-der-Stelle-treten, sind in eindringlicher Flexibilität ihre Handschrift, ihr Stil unverkennbar: entschiedene leuchtende kleinteilige Farbigkeit, fast punkthaft hier dicht an dicht gesetzte Farbflecken, großzügige einfach sich darstellende Flächen (meist die von Himmeln) dort. Die Landschaften lassen Tiefe zwar erkennen, bauen sich jedoch nicht in Tiefendimensionen auf, seien diese nun linear- oder farbperspektivisch geordnet. Vorder-, Mittel- und Hintergrund stehen übereinander. Fläche Wirkung also.

Herzog ist älterem indischen, persischen Malen - Miniaturen dieser Kulturkreise zumal - mehr verpflichtet als europäischen holländischen Landschaften oder denen der deutschen Romantik. Die Malerin gebraucht Kunst-Eindrückt und noch mehr ihr eigenes Erleben vor und in Landschaften. Aus Nichts entsteht keine Kunst. Mal- und Farblust, die Herausforderung anderer Bilder fordern und tragen Herzog. Frei und unbefangen betreibt sie ihr Malhandwerk; mit perfekter Maltechnik erreicht die Künstlerin das, was sie vor Augen stellen will. In ganz ihr eigener Weise übersetzt mit ruhigem intensiven Blick und sicherer Hand die Malerin auf vielen Reisen quer durch alle Kontinente von ihr Gesehenes in die Konstruktion ihrer Phantasie-Landschaften. Ihre Bilder sind nicht rauschhaft, sondern bedacht freischweifend Zug-um-Zug entworfen. So geht sie wieder und wieder vor, so setzt sie mit jedem Bild wieder und wieder vertraut aber "neu" an. Ihre Kunst besteht nicht nur darin, dies beharrlich mit langem Atem und eingebungsvoller Geduld zu tun, sie setzt immer wieder neu an, wiederholt nicht artistisch schon Gesagtes; auch zitiert sie nicht indisches oder persisches Malen, wenngleich ihre Bilder an diese Kunst eigenständig erinnern mögen. Die Landschaften sind erfunden. Doch sie zeigen "Realität". Bäume, Büsche, Steppen, Wasser und Wolken, Tiere dann und wann. Kein realistisches Protokoll, keine bildhaft gesicherte Reisedokumentation. Vielmehr konzentrierte Erinnerungen, Projektionen in sachlich übersteigerte Fernen - Wunschbilder, Idealbilder... Alle Bilder sind in einem wach, nah und dann ganz und gar distanziert. Der Betrachter erkennt konkret Landschaft, will vielleicht "hinein", sieht sich aber eigentümlich ausgesperrt. Schwerlich kann er in den Bildern spazieren gehen. Sie bezeichnen immer ein "Gegenüber". Kein verlockender Sog in weite Fernen. Keine Gaukelwelt wie in den Reiseprospekten. Herzog zeigt ruhig fremde unheimatliche Welten. Kein episches Sehen. Ein verknappendes lyrisches Sehen verdinglicht sich bildhaft. So etwas wie eine intellektuelle Verführungskraft kommt aus den Bildern, zieht den Betrachter an: als kenne er das alles schon, hätte es geträumt, schlafwandlerisch gesehen - halluzinatorischer Realismus. Wie es falsch ist, Märchen als Kinderherzigkeit zu verharmlosen, so spricht auch aus diesen Bildern eine harte beinahe vorgeschichtliche Weltgewissheit. Hart, da Herzog das triebhafte, das alternativlose So-ist-das ferner Natur mitteilt; vorgeschichtlich, da diese Natur eine vor dem Sündenfall ist. Keine paradiesisch heile Fluchtwelt. Eine Welt ohne Axt, Motorsäge, Rodungsbrand; doch keine harmlose idyllische: "Triebkräfte der Erde", der Titel, den Fritz Winter seinen ganz anderen Bilder erfand, könnte auf die von Herzog übertragen werden. Oder: Nicht farbselige Naivität ist traumverloren am Werk; aus intellektueller Naivität (im Sinne Friedrich Schillers), die sich im Einklang mit Natur sieht, baut Charlotte Herzog ihre fernen Landschaften. Die Bilder kennen keine atmosphärischen Trübungen. Gleißendes Licht fehlt. Dies fällt darum auf, da die meisten Szenarien tropisch, subtropisch angesiedelt sind. Das kleinteilige, additive Malen, die Abwesenheit gestischen Schwunges geben den Bildern Stille, bohrende Intensität. Sie haben so etwas wie langen Atem, so, als lebte ein Musikstück aus einem einzigen Dauerton, der so gut wie kaum merkbar an- und abschwillt. Die Bilder von Herzog besitzen so die Kraft objektivierenden Traumgesichts. Die Augen sehen hellwach mit geradezu trugloser Präzision. Nicht da von Gefühlsüberschwang, romantischem Versinken. Die Formate sind handhabbar. Es gibt Entwürfe zu den Bilder, Pinselvorzeichnungen auf dem Bildträger. Die kleinen Entwürfe auf Papier sind rasch, fast klecksographisch gesetzt: die so erfundenen / gefundenen Kleinformen werden auf den größeren Bildträger frei übertragen: Herzog projiziert nicht - sie hasst sklavisches übernehmen: Ihr Entwürfe zeigen eine Richtung, das Weitere wird "frei" entschieden, "ich hab' eine Idee und mache das dann..." So punkthaft die Farbe gesetzt scheint, so tänzerisch hält - sozusagen hüpfend, springend - beim Malen die Hand den Pinsel. Das sah Charlotte Herzog bei ihrem von ihr bewunderten künstlerischen Lehrer Hann Trier an der Berliner Hochschule der Künste, "Durch ihn habe ich was vermittelt bekommen, ohne ihn wäre ich nicht Malerin." Alle Bilder sind zentriert, ruhen in sich. Gemalte, gezeichnete, radierte Rahmen, Bordüren verstärken das. Diese sind von buddhistischen Tankas (Meditationsbildern) abgeleitet; asiatische Kalligraphiewird collagenhaft eingesetzt. Beides soll graphische Reizwerte herstellen. Herzog gelingt das Kunststück, diese Zitate bruchlos ohne Stimmungshuberei in ihre Kunst-Welt zu übertragen. Ihre Kunst ist für wache Augen. Räucherkerzen steigerten die Bildbetrachtung nicht. Für ihre großen Bildflächen verwendet die Malerin Acryl, für die kleinen Eitempera, die selbstgemischte Pigmente bindet. Daraus gewinnt die Bildhaut Spannung. Herzog ist Farbarbeiterin. Ihre Bilder sind bis zum Rand "farbvoll", doch die Farbe trieft nicht wie die Kleistsche Perserbraut von Wohlgerüchen. Die Farben stehen leuchtend trocken. Das Wort "trocken" ist hier als artistisches Kompliment gemeint. Die Farbskala ist reich: violett-petrol bis schwarz-blau; tiefes Gelb bis zu hellstem Zitronengelb; schwarz-grün in allen Nuancen. - Erscheinen Symbolzeichen, sind diese Zeichen für sich. Sie verweisen auf nichts. Sie stärken in den Bildern deren offenes Schwanken zwischen eindeutig und mehrdeutig, zwischen Gewissheit und Traum. Wenn es Vor-Bilder gibt, sind es frühe von Kandinsky, dessen russische Märchenwelt. Wie diese folkloristischer Pläsierlichkeit fern sind, ist Herzog Kandinsky fern. Sie hat eine bestätigende Anregung, mehr nicht, und das ist eine Menge. Herzogs Malerarbeit geschieht spielerisch ernst konzentriert. Auf ihren Radierungen ist das vorzüglich lesbar. Sie druckt mit mehreren Platten. In der Regel drei Farben: gelb, rot, blau. Die Farben "rein", dazu eine Fülle von nicht trüben Mischfarben (grün). Sie ätzt mit Präzision. In Stufen. Oft über mehrere Wochen. Kaum Probedrucke. In der Regel "steht" der erste Druck. Das gelingt nicht von selbst. Auf Erfahrung kommt Professionalität. Ihr Druckhandwerk vervollkommnete Herzog über Jahre auf seinen jetzigen Stand. Sie entwickelte ätzpläne, wie lange die Druckplatte, um bestimmte Farbtöne zu erreichen, welcher Säureschärfe ausgesetzt sein muss. Mit ihren Bilder verfolgt die Künstlerin keine programmatische Absicht. Sie erzählt weder surreale, noch sonst wie geplante Geschichten. Farbe soll blühen. Aus ihrem eigenen Recht, in ihrem Anbinden an ferne Landschaften. Farbe unterwirft sich nicht dem Gegenstand. Sie fordert den Augensinn. Wenn Charlotte Herzog ein Ziel hat, dann dies zu erreichen. Auf seine Weise entspricht ihr Malen einer von Carl Einstein, dem Analytiker der Moderne dieses Jahrhunderts schlechthin, gesetzten Formel: "Nicht der Gegenstand bestimmt mehr das Sehen, sondern dieses wird rücksichtslos, diktatorisch gegen die Objekte gestellt. Das Objekt wurde gezwungen, dem Seherlebnis identisch zu sein und wenn solches als nötig empfunden wurde erfand man Gegenstände, die nichts anderes mehr sind als Darstellung des subjektiven Sehens, des Raumbildens." Das liest sich komplex und schwierig. Das Gegenteil gilt. Eine andere - parallel geltende - Sentenz (von Goethe) wischt alle Sinnhuberei, allen theoretischen über- und Nebenbau vor und mit Bildern beiseite. "Was ist das Schwerste von allem? Was dir das Leichteste dünket: / Mit den Augen zu sehen, was vor den Augen dir liegt." Der Augensinn jedes Betrachters also als Erkenntnismotor eigener Art. Ihn fordern und fördern mit Anmut die Bilder von Charlotte Herzog.

Hermann Wiesler

Distant lands - close at hand

Two elements describe Charlotte Herzog's painting: perseverance and gracefulness. Herzog has been painting landscapes for decades. Without rigidity and far from marking time at alt, her handwriting, her style are unmistakable: decisive, radiant, small colour-segments, almost spotlike, here close together with dense splashes of colour, there generous spaces opening up simply (usually those of skies). The landscapes give a sense of depth, but are not structured in depth of dimensions, be these set out according to linear or colour perspectives. Foreground, middleground and background are on top of one another. Thus, a two-dimensional effect is created.

Herzog owes more to older Indian and Persian painting - particularly miniatures of these cullural spheres - then to European Dutch landscapes or those of German Romanticism. The painter uses artistic impressions and, even more, her own experiences in front of or in landscapes. No art comes from nothing. The desire to paint, a passion for colour, the challenge of other images spur Herzog on and buoy her up. She pursues her painting freely and unrestrainedly; with perfect painting technique, the artist achieves what she wants to put before the viewer's eye. In a manner entirely of her own, with a calm, intense eye and a steady hand, the painter translates what she has seen on her many travels right through all the continents into the construction of her fantasy landscapes. Her pictures are not created in a frenzy, but deliberately drilling freely stroke by stroke. It is thus that she proceeds again and again, again and again starting every painting in a manner at once familiar and "new". Her art consists not only of doing this perseveringly, with staying power and inspired patience, but she is also always starting afresh, not repealing things that have already been uttered artisticalty; nor does she cite Indian or Persian painting, even if her paintings may be independentl reminiscent of this art. Her landscapes are imaginary. But they portray "reality". Trees, bushes, steppes, water and clouds, the occasional animal. Not a realislic protocol, not a travel documentation captured in images. Far more, concentrated remembrances, projections in matter-of-factly exaggerated distant lands Images of what could be, of ideals ... All of the pictures are at once awake, close and yet completely distant. The viewer recognizes landscape clearly, desires perhaps to "go inside" but finds him- or herself oddly excluded. Wandering inside the pictures is scarcely possible. They always denote a vis-a-vis. No seductive pull into far off distances. No illusory world like in the travel brochures. Herzog calmIy depicts foreign, oullandish worlds. Not an epic seeing. A rationed, Iyrical seeing takes on material form in image. Something like an intellectual power of seduction emanates from the pictures draws the viewer; as if he or she knew all of this already, had dreamt it, seen it in a sleepwalking state - hallucinatory realism. Just as it is wrong to make light of fairytales as children's lare, so these pictures also express a hard, almost prehistorical, certainly of the world. Hard, as Herzog communicates the instinctual, alternativeless that's-how-it-is of distant nature; prehistorical, as this nature is one from before the fall of man. Not a paradisiacal perfect world to escape into. A world without axes, chain-saws, slash-and-burning: but not a harmless, idyllic one: "Driving forces of the Earth", the title Fritz Winter came up with for his very different pictures could be applied to those of Herzog's. Or: it is not oolour-happy naiveté dreamily at work here; Charlotte Herzog constructs her distantlands(capes) out of an intellectual naiveté (in the sense of Friedrich Schiller) that sees itself in harmony with nature. The pictures know no atmospheric disturbances. There is no glistening light. This is striking because most of the scenarios are situated in the tropical or subtropical. The small segments of additive painting and the lack of gestural movement give the pictures a stillness, a piercing intensity. They have a quality like staying power, as if a piece of music lived from a single continuous note, almost indiscernably rising and falling. Herzog's pictures thus have the power of objectivizing vision. The eyes see wide-awakely with positively unerring precision. Here is nothing of exuberance of feeling, of romantic losing-onesel'. The formats are manageable. There are sketches of the pictures, brushstroke outlines on the canvas. The little sketches on paper are quickly-made, almost inkblot-like; the small forms thus invented/found are loosely transferred to the larger canvasses; Herzog does not project - she hates slavish copying; her sketches indicate a direction, the rest is decided "freey". "I have an idea and then I do it..." Jusl as spot-like as the colour seems applied, so dancingly - hopping, jumping - the hand holds the brush when painting. This is something Charlotte Herzog saw her admired artistic teacher Hann Trier doing decades ago at the Berlin Academy of Arts. "Through him, something was communicated to me, without him I would not be a painter." All of the pictures are centred, resting within themselves. Painted, drawn, etched frames or borders reinforce this. These are derived from Buddhistic Tankas (meditation piclures) ; Asiatic calligraphy is used collage-like. Both are used to create a graphic pull. Herzog succeeds in this feat, in transposing these quotes seamlessly into her art-world without any attempt at whipping up the emotions. Her art is for alert eyes. Incense would not intensify study of the painting. The artist uses acrylic for the large areas of her paintings, and egg tempera that binds self-mixed pigments for the small ones. This adds a sense of tension to the skin of the painting. Herzog is a colour-worker. Her paintings are full to the brim of colour, but it does not ooze sweet scents like Kleist's Persian woman. The colours are radiantly dry. The word "dry" is meant here as an artistic compliment. The palette is rich; petroleum-violet to black-blue; deep yellow to the lightest lemon-yellow; black-green in all shades. Where symbols appear, they are symbols standing for themselves. They do not refer to anything. They reinforce in the paintings their open fluctuation between clarity and ambiguity, between certainty and dream. If there are role-models, they are Kandinsky's early works, his Russian fairytale world. Just as these are far from folkloristic amusements, Herzog is far from Kandinsky. She has a confirming impulse, not more, and that is a 101. Herzog's painting work is done playfully seriously focussed. This can be clearly seen in her etchings. She prints with several plates. Usually three colours: yellow, red, blue. These colours are "pure", augmented by an abundance of mixed not murky colours (green). She etches with precision. In stages. Otten over a number of weeks. Hardly any trial prints. Generally, the first print "stands". This is not done of its own accord. Professionality comes from experience. Herzog has perfected her printing skills over years and years to their current state. She has developed etching plans, how long the printing plate has to be exposed to what level of acidity to achieve certain colours. The artist is not pursuing any programmatical intention with her images. She neither tells surreal stories, nor stories planned in any other way. She wants the colours to bloom. In their own right, in their attachment to distant landscapes. Colour is not subordinated to subject. It challenges the visual sense. If Charlotte Herzog has a goal, it is to achieve this. In its own way, her painting corresponds to a phrase by Carl Einstein, the analyst of the modern of this century per se: "It is no longer the case that the subject determines the seeing, rather the subject is inconsiderately, dictatorially juxtaposed against the objects. The object is forced to become identical with the experience of seeing and if it were deemed necessary, subjects would be invented that are nothing more than a representation of a subjeclive seeing, the creating of space." This reads complicatedly and with difficulty. The opposite holds. Another - parallel valid - sentence (by Goethe) sweeps away all sense-based exaltation all theoretical super- and substructures in front of and with images. "What is the most difficult thing of all? The thing you think the easiest: I Seeing with your eyes what lies before your eyes." Thus the visual sense of very beholder is seen as a motor of realization all of its own. This Is challenged and promoted with gracefulness by the paintings of Charlotte Herzog.

Hermann Wiesler


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